Menschen drängen sich dicht an dicht. Blicke werden gewechselt, gesucht...gefunden?
"Ich will deine Tränen weinen," stöhnt es aus dem Lautsprecher. Ein lobenswerter Vorsatz.
Heute wollen ich und meine Freundinnen aus diesem Lokal eine Achterbahn machen. Heute wollen wir etwas los machen und wenn es nur Hosenträger sind.
Ellen sagt: "Dieser Mann hier vorne an der Bar gefällt mir." Wir taxieren und schätzen ein. Ein Mann kommt auf unseren Tisch zu. "Aha", denken wir. Aber er nimmt sich nur ein paar Salzstangen und geht wieder.
Nachdem er das zwei Mal wiederholt hat, überlege ich mir ob ich ihm den Rest der Knabberei vorbeibringen soll, beschließe aber dann, sie selbst zu essen. Ellen fasst Mut, steht auf und versucht einen gemütlich aussehenden Mann zum Tanz aufzufordern. Er sagt, er kann nicht tanzen. Er sitzt dort an der Bar, schlotzt sein Löwenbräu und isst die Salzstangen die ihm sein Freund bringt. Man kann sehen, dass sein Bauch langsam bayuwarische Ausmasse annimmt.
Neben ihm sitzt ein sehr korrekter gestreifter Herr. Ab und zu steht er auf und sieht sich um. Seine Blicke streifen uns, rollen an uns vorbei.
Jemand tippt mir auf die Schulter. "Aha", denke ich.
Es handelt sich um eine junge Frau. "Haben Sie zufällig eine Schmerztablette dabei, meine Freundin bekommt einen Weißheitszahn." Sehe ich aus wie eine Krankenschwester?
"Wahnsinn," tönt es aus dem Lautsprecher. "Wahnsinn, dich so rücksichtslos zu lieben!"
Wir setzen uns an die Bar. Neben mir sitzt eine ältere Dame. Großes Glas Wein, verschwommener Blick. Sie mustert mich vorsichtig. Anscheinend genüge ich ihr als Gesprächspartnerin. "Die Männer sind auch nicht mehr das, was sie mal waren." Stellt sie dann fest. "Früher war das anders. Da habe ich den ganzen Abend getanzt." Sie unterstreicht ihre Ausführungen mit großzügigen Gesten und tippt mir dabei auf die Schulter. Bevor ich ihr antworten kann, stürzt sie den Rest des Weines in sich hinein und bestellt sich ein neues Glas.
Danach ist ihr Blick nicht nur verschwommen sondern kariert. Unaufgefordert berichtet sie mir nun von dem Mann, um den es eigentlich geht. Zweiundzwanzig Jahre lang ist "es" gut gegangen zwischen ihr und ihrem Ehemann. Jetzt "läuft" nichtsmehr. Darum sitzt sie hier mit kariert glasigen Augen und schüttet Wein in sich hinein. Plötzlich steht ein junger Mann vor ihr, der sie herzlich umarmt. Wenig später ist sie mit ihm verschwunden. Liebeskummer lohnt sich nicht....
Renate fasst Mut und fordert einen jungen blonden Mann zum Tanzen auf. Die beiden verschwinden im Geschiebe und Gedränge der Tanzfläche. Ein Walzer dröhnt in unseren Ohren.
"Jetzt bist du dran", stichelt Ellen. "Fordere einen Mann zum Tanz auf."
Ich sehe mich um. Karierte, gestreifte, rote, blaue und schwarze Herren füllen die Disco. Männer mit und ohne Bart. Männer mit und ohne Glatze. Große Männer, kleine Männer. Dicke Männer, dünne Männer. Das Angebot ist größer als die Nachfrage. Ich kann mich nicht entschließen. Mein Herz spricht nicht. Meine Blicke treffen nicht auf feurige Augen, die mich verbrennen. Meine Nerven vibrieren nicht beim Anblick des jungen Mannes vor mir. Groß, blond, hinreißend, nach der neuesten Mode angezogen steht er vorne an der Tanzfläche. Ich sehe nur, dass er heimlich in der Nase bohrt. Jeder Sinn für Romantik fehlt mir.
Eine heiße Scheibe mit Soul Musik könnte vielleicht mein Blut zurm wallen bringen. Aber das wird hier nicht geboten.
Renate flirtet ungeniert mit dem großen Blonden. Ellen wird von einem sehr schlappohrigen Herrn zum Tanzen aufgefordert. Die Männer von der Luftwaffe trifft man überall.
Das Publikum ist kleiner geworden, meine Augen auch.
Nach einiger Zeit kommen Renate und Ellen zurück. Natürlich ohne Rose. Wir beschliessen, nach Hause zu gehen. Der Abend war sehr interessant.
Herr Schlappohr beschliesst, uns zum Auto zu begleiten. Renates Verehrer ist verschwunden. Als wir das Lokal verlassen wollen, stürmt uns der Kellner hinterher. Renate wird gefragt, wo sich der Herr befinde der mit ihr an der Bar saß. "Der Herr ist nach Hause gegangen", sagt Renate verblüfft. Der Herr habe seine Zeche nicht bezahlt, erklärt der Kellner und mustert Renate vorwurfsvoll. Renate bezahlt mit rotem Kopf ihr Getränk, sie dachte ja das hätte der Herr erledigt.
Schlappohr sagt, dass man sich die Leute mit denen man sich zusammensetzt, besser anschauen sollte. Ellen versucht ihn abzuwimmeln, was nicht einfach ist. Denn schließlich hat er in ihr die Frau fürs Leben gefunden, wie er immer wieder betont. Als es ihr endlich gelungen ist ihn los zu werden, setzen wir uns erleichtert ins Auto.
Es wird eine aufregende Nachtfahrt. Herr Schlappohr verfolgt uns. Renate und Ellen sehen ihn schon bei uns zu Hause durch den Garten schleichen, uns auflauern, uns überfallen, uns vergewaltigen.....
Reante wendet das Auto, fährt an Schlappohr vorbei und stellt den Wagen mit ausgeschaltetem Motor und ohne Licht auf einen Parkplatz. Anscheinend hat Herr Schlappohr dadurch die Orientierung verloren. Er kommt nicht mehr. Wir haben weder ihn noch den schönen Zechpreller wieder gesehen. Aber wir drei sind wieder um eine Erfahrung reicher geworden. Beim Rosenball werden wir wohl nie den Mann aller Männer finden.

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